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Hochschulschrift (Dissertation)

FernUniversität in Hagen, 2020

ISBN: 978-94-6423-163-2

URL: https://joshuaweidlich.files.wordpress.com/2021/11/weidlich_diss_for_online_title-page.pdf (last check 2023-01-09)

Zusammenfassung:

In einer zunehmend technisierten Welt wird zwischenmenschliche Interaktion immer häufiger durch die Schnittstellen unserer digitalen Endgerate vermittelt. Dies gilt ebenso für Bereiche des Bildungssektors. Die meisten der angehenden Studierenden, die sich heute in einer Hochschule einschreiben, werden unweigerlich im Laufe ihres Studiums mit pädagogischen Szenarien konfrontiert werden, in denen menschliche Interaktion mit Hilfe von Technologie vermittelt wird. Dies mag in manchen Fällen lediglich bedeuten, dass Studierende einzelne Einheiten oder Abschnitte eines Präsenzstudiums online absolvieren. Andere durchlaufen möglicherweise ein ganzes Studium, ohne ihren Mitstudierenden oder Lehrkräften jemals physisch zu begegnen, wie es in einem Fernstudium der Fall sein kann. Mag es besonders bei raffinierten und technisch ausgereiften Kommunikationsmedien nicht immer auffallen, bleibt dennoch eine wichtige Tatsache bestehen: Wenn unser Gegenüber nicht tatsachlich da, also physisch abwesend statt präsent ist, wirkt sich das auf unsere zwischenmenschliche Wahrnehmung aus. Obwohl die psychologischen Besonderheiten dieser zunehmend verbreiteten Art der Kommunikation seit langem Gegenstand von Untersuchungen sind und wichtige Effekte auf Kommunikations-, sowie auf Lernprozesse vermutet werden, sind die tatsachlichen psychologischen Auswirkungen, insbesondere mit Blick auf das Lernen im Online- und Fernstudium, nach wie vor nicht ausreichend erforscht.

Der Begriff Social Presence stellt eine der prominentesten Bemühungen dar, sich der besonderen psychologischen Herausforderungen computervermittelter Kommunikation konzeptionell zu nähern. Er bezieht sich auf das Ausmaß, zu dem wir bei diesen Formen der Kommunikation ein Gefühl der Unmittelbarkeit erleben. Somit impliziert der Begriff Social Presence gewissermaßen eine Illusion oder anders gesagt, das Versäumnis in unserer Wahrnehmung, der Tatsache kontinuierlich gewahr zu sein, dass wir eigentlich mit einem Bildschirm kommunizieren. Interessanterweise ist es auch bei Kommunikationsmedien, die mit dem Naturell von face-to-face Gesprächen relativ wenig Gemeinsamkeiten aufweisen, zum Beispiel asynchrone textbasierte Chats, ebenfalls möglich, ein hohes Mas an Social Presence zu erfahren, also dem Gefühl zu erliegen, dass unser Kommunikationspartner „echt“ und „da“ ist. Diese paradoxe Beobachtung ist der Grund, dass wir keinen monokausalen Zusammenhang zwischen der technologischen Raffinesse des Kommunikationsmediums und der Wahrnehmung von Social Presence ableiten können. Tatsachlich scheint es stattdessen eine Vielzahl von Faktoren zu geben, die für dieses psychologische Phänomen verantwortlich sind, von denen jedoch viele nicht ausreichend erforscht sind. So ansprechend und relevant dieses Konzept zu sein scheint – dafür sprechen unzählige Studien, die sich mit dem Konstrukt beschäftigen–, hat seine Anwendung und Erforschung bislang vergleichsweise wenig zur Weiterentwicklung unseres Verständnisses über die Psychologie computervermittelter Kommunikation beigetragen; eine Tatsache, die möglicherweise auf die lange Geschichte uneinheitlicher Auslegungen dieses Konzepts und den daraus resultierenden Schwierigkeiten, Wissensbestande zu kumulieren, zurückzuführen sein konnte. Abschnitt A „Introduction and Theoretical Foundations” beschreibt den aktuellen Forschungsstand bezüglich der Psychologie computervermittelter Kommunikation und stellt einen Bezug zur Fernlehre und dem Online-Lernen her, insbesondere mit Blick auf die vielzitierten Herausforderungen, die mit diesen Lernkontexten einhergehen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den Online-Umgebungen, in denen die Lernaktivitäten dieser Szenarien üblicherweise stattfinden. Im Anschluss daran erfolgt eine Besprechung von Social Presence, in der zentrale Herausforderungen in der Erforschung dieses Konzepts diskutiert werden. Dies mundet in die Vorstellung eines theoretischen Modells, das für die folgenden empirischen Arbeiten handlungsleitend ist.

In Abschnitt B „Empirical Studies“ werden die zentralen Forschungsfragen dieser Arbeit dargelegt sowie fünf Studien zu ihrer Beantwortung präsentiert. Zusammengenommen zielen diese empirischen Untersuchungen auf ein besseres grundlegendes Verständnis des Phänomens Social Presence, auf eine theoretisch plausible und empirisch gestutzte Modellierung, sowie auf die praktische Anwendung dieses Wissens zur Verbesserung der Online- und Fernlehre ab. Insgesamt wurden zu diesem Zweck Daten von 1023 Studierenden der FernUniversität in Hagen erhoben und analysiert. In der ersten Untersuchung, einer Skala-Validierungsstudie, wird aufbauend auf der sich häufenden Kritik an der Social Presence Forschung versucht, wichtige Grundlagen bezüglich der Definition und Messung des Konstrukts zu schaffen. In der zweiten Studie wird dann der Betrachtungshorizont mit Hilfe eines Strukturgleichungsmodells erweitert, um zu einem umfassenderen Bild von Social Presence und verwandten sozio-emotionalen Prozessen und Variablen zu gelangen. Dies resultiert in einem theoretisch fundierten und empirisch gestutzten Modell mit praxisrelevanten Implikationen. Jene Implikationen zur Forderung und Begünstigung von Social Presence in Online-Lernumgebungen werden in der dritten Studie mit Hilfe eines Experiments empirisch überprüft, wodurch weiterhin Gestaltungsempfehlungen für derartige Lernumgebungen abgeleitet werden können.

Für die verbleibenden zwei Studien wird der theoretische Blick erweitert, sodass sich das vierte Kapitel mit einem bislang nur aus sozialen Netzwerken bekannten psychologischen Phänomen beschäftigt, Ambient Awareness. Mit Hilfe zweier Stichproben wird zunächst seine Prävalenz in Online-Lernumgebungen untersucht, um dann eine theoretisch naheliegende Verbindung zu Social Presence zu überprüfen. Zuletzt wird in der fünften Studie ein neuartiger Blickwinkel auf das Konstrukt eingenommen. Wurde in der Vergangenheit Social Presence aufgrund seiner sozialpsychologischen Wurzeln meist als sozial und kontextuell determiniert verstanden, wird hier die potenzielle Rolle individueller Unterscheide, genauer gesagt der Persönlichkeit der Studierenden, bei dem Erleben von Social Presence in den Fokus gerückt.

Der Integration und Kumulierung der neu gewonnenen Erkenntnisse kann deshalb eine besondere Bedeutung zugeschrieben werden, da diese Synthesearbeit in der Social Presence Literatur als defizitär erachtet werden kann. Aus diesem Grund wird in Abschnitt C „Discussion and Future Directions“ eine umfassende Diskussion und Einordnung der Ergebnisse, insbesondere mit Blick auf die Schwachen der Social Presence Literatur vorgenommen. Trotz verbleibender offener Fragen, können die Ergebnisse der empirischen Arbeit so interpretiert werden, dass deutliche Fortschritte bei der Identifizierung, der theoretischen Erklärung sowie der praxisnahen Anwendbarkeit von Social Presence erzielt wurden. Als visuelles Resümee wird das endgültige Forschungsmodell in seiner durch die Studien modifizierten und erweiterten Form präsentiert, in dem alle in dieser Arbeit untersuchten Hypothesen enthalten sind. Um die zentralen Erkenntnisse weiter zu verdichten, wird eine Reihe von Fragen, die zusammengenommen die Grundlage für eine Theorie von Social Presence darstellen, fokussiert beantwortet. Durch diese Zusammenfassung auf verschiedenen Abstraktionsebenen entsteht ein Bild von Social Presence als ein komplexes psychologisches Phänomen, das mit Blick auf seine Relevanz für das Online- und Fernstudium multikausal bestimmt und nuanciert zu sein scheint. Mit Blick auf Limitationen dieser Arbeit sowie aktueller mediendidaktischer Entwicklungen werden mögliche Schritte zur Verbesserung künftiger Forschungsbemühungen vorgeschlagen. Darüber hinaus werden zwei zentrale, weiterhin bestehende Hindernisse auf dem Weg zu einer ambitionierten und fundierten Social Presence Forschung aufgezeigt. Ersteres bezieht sich auf die bislang inkonsistente Erforschung des Zusammenhangs zwischen Lernerfolg und Social Presence. Letzteres bezieht sich auf die fehlende Einbettung des Phänomens Social Presence in die menschliche Psychologie. Als ersten Schritt zu Überwindung dieser Hindernisse werden zwei theoretische Frameworks zur Gestaltung künftiger Forschung vorgeschlagen. Die Arbeit endet mit einer kurzen Reflexion.

Summary:

In a technology-rich world, human relations are increasingly mediated through the interfaces of our digital devices. This is also true for certain arenas of the educational sector. More likely than not, a student enrolling in any higher education program today will be confronted with one or more pedagogical situations in which human interaction is not immediate but experienced through technology. While some students may take a class or two online in an otherwise face-to-face program, others may traverse a full learning trajectory without ever physically meeting their instructors or fellow students, as is the case in distance education. While increasingly sophisticated communication technologies may coax our senses, the fact remains: if our communication partner is not really there but physically absent, this will likely have psychological ramifications. Although the peculiarities of this increasingly prevalent mode of communication have long been the subject of investigation, with abounding speculation as to the wide-ranging consequences on communication processes and, in extension, learning processes relying on communication, the actual effects of mediation and their relevance for online distance learning are still not well understood.

The notion of social presence is one of the most prominent attempts at understanding the unique psychological properties of mediated communication. It refers to the degree to which we fall for the illusion of non-mediation, or in other words, our failure to perceptually integrate what we know in the abstract: That we are talking to a screen. Notably, even in communication media with modest face-to-face fidelity, for example text-based asynchronous messaging, it is possible to experience relatively high degrees of social presence. That is, we feel that our communication partner is “real” and “there”. Due to this paradox, we cannot deduce a simple and monocausal relation between technological sophistication of the communication medium and the experience of social presence. In fact, it appears that there are multiple processes and determinants at work accounting for this phenomenon, which, however, are still largely uncharted. As evocative and relevant this concept may appear –the sheer volume of studies attest to its popularity–, its practical benefits in advancing our knowledge on the psychology of mediated communication in online distance learning have been relatively small, a fact that may be traced back to a history of inconsistent definitions and the resulting lack of cumulative research progress. Section A “Introduction and Theoretical Foundations” lays out what we currently do and don’t know about the psychology of mediated communication, how this relates to online distance learning and some of its classic issues, as well as the state of research in this educational arena, with a specific focus on the online environments in which mediated learning experiences take place. Following this, a thorough review of the concept of social presence identifies central challenges of the literature and a model to guide the following steps is proposed.

Section B “Empirical Studies” lays out the central research questions of this thesis and presents five chapters to answer them. As a whole, the quantitative studies within these chapters are geared toward a better understanding of the phenomenon of social presence, a more comprehensive theoretical modeling around it, as well as practical application of this knowledge toward enhancing online distance learning experiences. To this end, data from a total of 1023 students at FernUniversitat in Hagen was collected and analyzed. Zooming in on each individual study and its contribution, the following steps lead to this thesis’ goals: Building on important previous work, the first investigation, a scale validation study, aimed to put a stake in the ground with respect to the definition and measurement of social presence for the remainder of this thesis and, hopefully, the field more generally. In a second step, the explanatory scope was widened to account for processes and variables, that, together, may provide a more comprehensive picture of social presence and related socio-emotional variables in online distance learning. Structural equation modeling yielded an empirically supported and theoretically sound model with practical implications. In the third study, drawing from the tenets of the previously established model, a central proposition to enhance social presence in online distance learning environments was tested experimentally, further supporting the model through causal evidence while also yielding novel design recommendations. For the remaining two studies, the scope of theorizing was again widened. The fourth study investigated an emerging psychological phenomenon observed in social networking sites, ambient awareness. In a first sample, its prevalence in online distance learning environments was explored and, in a second sample, a theoretically plausible connection to social presence was assessed. Lastly, due to the historic roots of social presence, most empirical investigations have neglected the potential role of individual differences. For this reason, the fifth chapter investigated the merits of a trait-level view of social presence by examining its relationship to personality.

The integration and cumulation of newly generated knowledge is especially important, as this synthesizing work has been found to be lacking in much of the literature on social presence. For this reason, a comprehensive discussion is presented in section C “Discussion and Future Directions”, in which the contributions of this thesis toward the challenges of social presence are laid out. Despite some questions remaining unanswered, the interpretation of findings allows us to conclude that significant progress has been made toward a better identification, explanation, and application of social presence. As a visual summary, the final research model is presented in its modified and extended form, detailing all hypotheses examined in this thesis. Further condensing the findings of this thesis, a set of questions informing a tentative theory of social presence are answered succinctly. Through these summaries on different levels of elaboration, we learn that social presence is a complex psychological phenomenon that is multi-causally determined and nuanced in terms of its benefits for online distance learning. Taking into account some limitations within the works presented in this thesis, potential steps for improving future research efforts are discussed in light of recent developments in the field of online distance learning. Critically, however, in order to further build our knowledge of social presence in online distance learning, two major road-blocks on the path to a new phase of social presence research need be considered specifically. The first relates to the dubious connection to learning achievement. The second pertains to a lack of integration of social presence into our broader knowledge base of human psychology. Two frameworks that specifically address these problems are proposed, with consequential implications for future research. The thesis ends with a brief reflection.

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