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  • Die Entwicklung einer Augmented Reality Anwendung durch Lernende im Informatikunterricht: Didaktisches Design und Lessons Learned
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1 Einleitung

Die Potentiale der Technologie Augmented Reality (AR) für schulischen Unterricht werden aktuell sowohl in Forschung als auch Praxis ausgelotet und diskutiert. AR wird definiert als die computer-gestützte Erweiterung der Realität, d.h., reale und virtuelle Objekte werden simultan (zeitlich und örtlich) angezeigt, Interaktionen mit den Objekten finden in Echtzeit statt und reale und virtuelle Objekte sind geometrisch aneinander ausgerichtet (Azuma et al., 2001).

Viele Studien konnten zeigen, dass diese technologischen Merkmale für die Gestaltung effektiver und affektiv-motivational anregender Lernumgebungen genutzt werden können. Krüger und Bodemer (2022) konnten zum Beispiel zeigen, dass mithilfe von AR die Designprinzipien multimedialen Lernens umgesetzt werden können. Folglich lässt sich das identifizierte Problem der kognitiven Überlastung beim Lernen mit AR (Buchner, Buntins, et al., 2022) verhindern. Paraschivoiu et al. (2021) nutzten AR für die Gestaltung eines Escape Games und konnten nachweisen, dass das Spiel von Lernenden als motivierende und immersive Lerngelegenheit empfunden wird. Altmeyer et al. (2020) demonstrierten, dass AR das Durchführen von Experimenten im Physikunterricht effektiv unterstützen kann.

Auf der Basis mehrerer Metaanalysen wird dem Einsatz von AR in Lehr-Lernkontexten ein mittlerer Effekt auf kognitive Lernziele, etwa die Aneignung von Wissen, zugesprochen (e.g. Garzón et al., 2020).

Gemein ist den rezipierten Studien, dass durch den AR-Einsatz das Lernen von Schülerinnen und Schülern mit einer Technologie adressiert wurde. Lernen mit einer Technologie stellt jedoch nur eine Perspektive dar, wie Medien und neue Technologien im schulischen Unterricht genutzt werden können. Eine weitere Perspektive betrifft das Lernen über Medien und Technologien (Döbeli Honegger, 2016).

Dabei werden mediale und technologische Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven, etwa einer informatischen und einer anwendungsbezogenen Perspektive, betrachtet (Dengel, 2018). Das Ziel ist, Lernende zu einer aktiven Teilhabe an der zunehmend digitalen Welt zu befähigen und sie zu (Mit-)Gestaltenden ebendieser zu machen (Kerres, 2020).

Für AR lässt sich feststellen, dass erst wenige Erkenntnisse darüber vorliegen, wie Schülerinnen und Schüler über die Technologie AR lernen. Insbesondere fehlt es an konkreten didaktischen Designs, die von Lehrpersonen im Unterricht genutzt werden können (e.g. Buchner, Krüger, et al., 2022).

Das Ziel dieses Beitrags ist diese Lücke aufzugreifen und ein praxiserprobtes sowie forschungsbasiertes Lerndesign für das Lernen über die Technologie AR zu präsentieren. Zudem werden lessons learned diskutiert, sodass andere Lehrpersonen von den gemachten Erfahrungen profitieren und eine adaptierte Version des hier vorgestellten Lerndesigns in ihren Unterricht implementieren können.

2 Didaktische Konzeption

2.1 Kontext

Das Lernen über AR wurde im Rahmen eines Informatik-Projektkurses mit dem Titel „Augmented/Virtual Reality“ am Gymnasium Filder Benden in Moers thematisiert. Insgesamt nahmen 13 Schülerinnen und Schüler der elften Jahrgangsstufen ohne AR-Vorerfahrung teil. Vor der Durchführung des Projektkurses wurde vom verantwortlichen Lehrer in mehreren Gesprächen mit Fachlehrerinnen und Fachlehrer Informatik eruiert, welches Alltagsproblem von den Schülerinnen und Schüler mithilfe von AR gelöst werden könnte. Dabei kam die Idee auf, Anleitungen für die Bedienung und sichere Nutzung der Technologien im schuleigenen Makerspace gestalten zu lassen. Als weitere Idee wurde die Visualisierung des Sicherheitskonzepts des Fachraums genannt.

2.2 Lerndesign

Basierend auf den Kontextinformationen wurde für die konkrete Planung und Implementation auf ein von Buchner und Kerres (2021) entwickeltes Guided Design-based Learning (GDbL) Design zurückgegriffen. Dieses Design berücksichtigt zunächst das Vorwissen sowie die Vorerfahrungen der Schülerinnen und Schüler mit AR. Da diese vor dem Projektkurs keine oder nur wenige Berührungspunkte mit AR-Anwendungen hatten, wurde zunächst eine theoretische Einführung zu dem Thema AR-Technologie vorgenommen. Diese Einführung wurde im Unterricht von den beiden Autoren durchgeführt.

Im Anschluss wurde in Anlehnung an das GDbL-Design die Möglichkeit eröffnet, eigene Erfahrungen mit bereits vorhandenen AR-Anwendungen zu sammeln. Zum Beispiel konnten die Schülerinnen und Schüler eine AR-Experience mit der HoloLens testen, bei der mithilfe einer im Sichtfeld projizierten Schritt-für-Schritt Anleitung das Sägeblatt einer Motorkettensäge gewechselt wurde. Andere AR-Beispiele konnten mit Tablet und Smartphone getestet werden, etwa AR-Bücher oder AR-Karten (e.g. Buchner et al., 2021)

Den Kern des GDbL-Designs stellt die Gestaltung eigener AR-Artefakte durch die Schülerinnen und Schüler dar. Um auf diese Aufgabe vorzubereiten, wurde zunächst in einem Praxisworkshop eine Einführung in die AR-Software Vuforia Studio von Mitarbeitenden der Firma PTC Inc. durchgeführt. In weiteren vier Unterrichtseinheiten eigneten sich die Schülerinnen und Schüler weiteres Bedienwissen zu Vuforia an, indem sie Online-Tutorials benutzten und Hinweise zur Nutzung aus User-Foren sammelten.

Unter Einbezug des erworbenen theoretischen und praktischen Wissens sowie den gemachten AR-Erfahrungen, konkretisierten die Schülerinnen und Schüler im weiteren Verlauf des Projektkurses ihre Projektideen. Der Lehrer des Kurses regte dabei immer wieder eine Reflexion über die gesteckten Ziele an. Durch diese Reflexion wurde den Schülerinnen und Schülern bewusst, welche Grenzen sich aufgrund ihres aktuellen Wissens- und Fähigkeitsstands für die finale Gestaltung des AR-Artefaktes ergeben. Entsprechend wurden bereits formulierte Ziele hinterfragt und angepasst.

Als Konsequenz fokussierten sich die Schülerinnen und Schüler auf die Methode „spatial computing“, durch die ein dreidimensionaler Raum als User Interface genutzt werden kann. Folglich wurde das schuleigene FabLab als virtuelles Raummodell gescannt und samt den dort vorhandenen Gegenständen in die Vuforia Studio Software importiert. Mithilfe der Software erfolgte nun die Bearbeitung des Raumes sowie der Gegenstände. So wurden etwa virtuelle Pfeile platziert, die den Weg zum Notausgang anzeigen sowie Informationsboxen mit Anleitungen hinzugefügt. Im weiteren Verlauf der Bearbeitung mit der Software konnten die Lernenden ihre Kompetenzen weiterentwickeln, sodass an manchen Stellen bereits einfache Animationen implementiert werden konnten. Zum Beispiel kann durch einen Klick auf einen im Raum vorhandenen Feuerlöscher dessen Sicherungssplint entfernt werden, wodurch sich anschließend der rote Druckknopf senkt.

Nach der erfolgreichen Testung der entwickelten AR-Lösung durch die Schülerinnen und Schüler, erfolgte als Abschluss des Projektkurses eine Reflexion über den Designprozess sowie die Herausforderungen und Potenziale der Technologie AR.

Insgesamt dauerte der Designprozess in diesem Projekt 12 Wochen.

2.3 Ergebnis

Das finale AR-Artefakt stellt eine Sicherheitsanweisung für die Nutzung des School FabLabs dar. Die AR-basierten Anweisungen können von allen Lernenden und Lehrenden der Schule über die kostenlose Vuforia View Software, installiert auf einem Smartphone oder Tablet, betrachtet werden. Eine weitere Voraussetzung ist, dass sich die nutzende Person physisch im FabLab befindet.

Zum Beispiel bekommen Nutzende nach Start der Anwendung im FabLab den Hinweis, bei einem Notfall den roten Pfeilen zur ersten Fluchttür zu folgen (siehe Abbildung 1). Mit einem Klick auf eine dort zu sehende virtuelle Fluchttür wird der nächste Pfeil sichtbar. Die

Schülerinnen und Schüler verfolgten mit dieser AR-Lösung das Ziel, das Trainieren von Verhalten im Notfall zu unterstützen.

Als zweites Beispiel kann die bereits kurz skizzierte Animation des Feuerlöschers genannt werden. Diese ermöglicht das Kennenlernen der Handhabung eines Feuerlöschers mithilfe von AR (siehe Abbildung 2).

Abbildung 1. AR-Visualisierung der Fluchttüre

Abbildung 2. Informationen zur Handhabung des Feuerlöschers per AR

3 Lessons learned

Das Ziel dieses Beitrags ist die Beschreibung eines Projekts, bei dem die Gestaltung einer AR-Lösung für ein alltägliches Problem durch Schülerinnen und Schüler im Fokus stand. In Anlehnung an ein bereits erprobtes Lerndesign – Guided Design-based Learning (GDbL; Buchner & Kerres, 2021) – wurde den beteiligten Lernenden auf vielfältige Weise das Kennenlernen von AR sowie das Erlernen von Software für die selbstständige AR-Gestaltung ermöglicht. Aus Sicht der Autoren konnten die Schülerinnen und Schüler durch das implementierte Lerndesign zu Gestaltenden einer AR-Lösung für ein spezifisches Problem befähigt werden. Zudem hat sich für die Lernenden gezeigt, dass AR eine Technologie ist, die (potenziell) individuell an eigene Bedürfnisse angepasst werden kann. Dies hat sich etwa darin ausgedrückt, dass AR mit vorhandenen Räumlichkeiten und Geräten kombiniert werden konnte. Zugleich wurden Herausforderungen sichtbar, die bereits bei der Planung eines solchen Projektvorhabens berücksichtigt werden sollten:

  • Vorkenntnisse und -erfahrungen in den Bereichen Programmieren (etwa HTML, CSS, JavaScript) und Multimediadesign (etwa Video und Audio) sind zu empfehlen. Insbesondere um Interaktionen mit den AR-Inhalten zu realisieren.

  • Ausreichend Zeit einplanen (ca. 12 Wochen) und zur Verfügung stellen, um die iterative und kooperative Planung und praktische Gestaltung der AR-Lösung in einer stressfreien Atmosphäre zu unterstützen. So konnte etwa im Rahmen der von uns beschriebenen Umsetzung nur eines der identifizierten Probleme adressiert werden. Eine konkrete AR-Anleitung für die einzelnen Geräte im FabLab, z.B. den 3D-Drucker, konnte nicht realisiert werden.

  • Passende Software für die AR-Gestaltung vorab auswählen. Aufgrund der AR-Testungen bekamen die Schülerinnen und Schüler viele Inspirationen für die eigene Umsetzung. Hier zeigte sich jedoch, dass die Gestaltungsmöglichkeiten vieler AR-Anwendungen eingeschränkt sind. Auf der Basis unseres Projekts können wir die Arbeit mit Vuforia Studio empfehlen. Auch hier gilt es festzuhalten, dass mehrere Unterrichtseinheiten zum Erlernen der Bedienung der Software bereitgestellt werden müssen.

  • Authentische Probleme sollten von der Lehrperson vorab antizipiert werden. Damit wird sichergestellt, dass realisierbare Lösungen entwickelt werden können. Dennoch sollte den Schülerinnen und Schülern noch ausreichend Platz für eigene Ideen und Lösungsvorschläge angeboten werden.

4 Fazit

In diesem Beitrag wurde ein forschungsbasiertes und praxiserprobtes Lerndesign für das Lernen über die Technologie AR vorgestellt. Das Lernen über zeitgemäße Technologien stellt ein wichtiges Lernziel im schulischen Unterricht dar, etwa um Kinder und Jugendliche zu (Mit)Gestaltenden in der digitalen Welt zu befähigen. In unserem Projekt haben 13 Lernende durch die Entwicklung einer AR-basierten Lösung für ein Alltagsproblem neues Wissen über und neue Fähigkeiten in Bezug auf die Technologie AR erworben. Die finale AR-Lösung stellt zudem ein Lernprodukt dar, welches zukünftig außerhalb des Unterrichtskontexts genutzt wird.

Für die eigene Umsetzung empfehlen wir ausreichend Zeit einzuplanen (ca. 12 Wochen) und zur Verfügung zu stellen, sodass (1) kreative Lösungen zunächst entwickelt werden können und (2) das Erlernen der Software in ausreichendem Maße für die AR-Gestaltung erfolgen kann.

Mithilfe des skizzierten Lerndesigns stellen wir für Lehrpersonen eine Vorlage bereit, welche an die Bedürfnisse der jeweiligen Lerngruppe angepasst werden kann. Kennen die beteiligten Schülerinnen und Schüler etwa bereits AR, bleibt mehr Zeit für die Planung, Konzeption und Gestaltung der eigenen AR-Lösung. Entsprechend kann sich die Dauer des Designprozesses um ein bis zwei Wochen verkürzen.

Mit diesem Projektbericht leisten wir einen wichtigen Beitrag zur bisher wenig beachteten Frage, wie ein Lernen über die Technologie AR aussehen kann. Aufgrund der bereits erfolgten Erprobung in der Praxis wird deutlich, dass ein Lernen über AR durch das Gestalten technischer Lösungen in der Bildungspraxis umsetzbar ist und Schülerinnen und Schüler dazu befähigen kann, zu (Mit)Gestaltenden der zunehmend digitalen Welt zu werden.

Literatur

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