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  • Individualisierender Unterricht in der Hochschullehre mittels einer IT-unterstützten Stationsarbeit
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1. Motivation und Ausgangslage

Die Teilnehmenden einer universitären Veranstaltung können aus unterschiedlichen Fachrichtungen kommen und bringen verschiedene Voraussetzungen und Vorkenntnisse mit. Ein Beispiel an der Friedrich-Schiller-Universität ist die Veranstaltung Grundlagen der Informations- und Softwaresysteme (ISYS) am Institut für Informatik. Hierbei handelt es sich um eine Ring-Vorlesung mit einem Softwaretechnik-, Datenbanken- und Verteilte-Systeme Anteil. Diese Arbeit wird sich auf den Softwaretechnik-Teil fokussieren, der das erste Drittel des Semesters einnimmt. Die Veranstaltung wird sowohl von Bachelor- als auch Masterstudierenden unterschiedlicher Fachrichtungen besucht. Beispiele sind Informatik, Angewandte Informatik, Lehramt Informatik, Bio-Informatik und andere Studienrichtungen, welche Informatik als Ergänzungs- bzw. Nebenfach anbieten. Hierzu zählen beispielsweise Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen, Mathematiker, Physiker und Psychologen. Für einige Studierende ist die ISYS die erste Informatikvorlesung, während andere Studiengruppen bereits Vorkenntnisse in ähnlichen Gebieten wie der objektorientierten Programmierung, Algorithmen und Datenstrukturen oder Grundlagen des Systementwurfs besitzen.

Die angestrebte fachliche Kompetenz im Softwaretechnikteil der Veranstaltung besteht darin, dass die Teilnehmenden eine objektorientierte Analyse eines Softwaresystems mit Notationen der Unified Modeling Language (UML) durchführen können. In dieser Arbeit wird der Kompetenzbegriff nach Weinert (2001) verwendet. Er definiert Kompetenz als „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können".

Für eine Lerngruppe mit derart heterogenen Vorkenntnissen ist die Einhaltung des didaktischen Prinzips der Differenzierung für den Lernerfolg entscheidend. Nach Hubwieser (2007) bedeutet Differenzierung, dass für die einzelnen Lerner der Lerngruppe unterschiedliche Ziele basierend auf ihrem Vorwissen und kognitiven Fähigkeiten verfolgt werden. Traditionelle universitäre Veranstaltungen leisten das in der Regel nicht. Im naturwissenschaftlichen Bereich dominieren zwei Veranstaltungskonzepte.

In Konzept A setzt sich eine Veranstaltung aus einer Vorlesung und lehrergelenkten (Frontal-)Übung zusammen. Die Studierenden erhalten in regelmäßigen Abständen ein Aufgabenblatt, d.h. eine Sammlung von Aufgaben, die sie zuhause bearbeiten und deren Lösung sie in der Regel zur Bewertung abgeben. In der Übung präsentiert der Übungsleitende beispielhafte Lösungen an der Tafel.

In Konzept B findet neben der Vorlesung eine teamorientierte Projektarbeit statt, in welcher die Studierenden bestimmte Handlungsprodukte in Heimarbeit erarbeiten und dem Übungsleitenden in regelmäßigen Abständen präsentieren. In der ISYS wurde dieses Konzept in den letzten fünf Jahren verwendet. Dabei konnte beobachtet werden, dass viele Studierende mit der Projektarbeit überfordert sind und einige leistungsstarke Teilnehmende den Hauptteil der Arbeit erledigen. Um diese These zu fundieren, wurden in den vergangenen Semestern mit fünf zufällig ausgewählten Gruppen mündliche Befragungen zu Ihrer Projektorganisation durchgeführt. Dabei geben zwei Teams an, dass die Arbeiten ungleichmäßig verteilt werden. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass der tatsächliche Anteil höher liegen könnte, da nicht zwingend jedes Team eine ungleichmäßige Arbeitsverteilung zugegeben haben muss, obwohl sie vorliegt. Außerdem zeichnet sich ab, dass keine kooperative Zusammenarbeit stattfindet. Vier der fünf befragten Teams geben an, dass sie die Aufgaben untereinander verteilen und getrennt bearbeiten. Das Ergebnis wird von einem Studierenden zusammengefügt, der die Teillösungen als E-Mail erhält. Nur bei einem Team haben die Teilnehmenden tatsächlich gemeinsam an der Serie gearbeitet. Die anderen Teams geben an, dass sie keinen gemeinsamen Termin finden konnten oder ungünstig wohnen. Über ähnliche Erfahrungen berichten ebenfalls andere Lehrende aus dem Softwaretechnikbereich. Kleuker und Thiesing (2011, S. 43) postulieren, „dass die eigentliche Zeit zur Umsetzung der Projekte relativ knapp ist“. Bestehende heterogene Vorkenntnisse werden als besonders nachteilig beim Verteilen von Arbeitsaufträgen angesehen, da stärkere Studierende das Projekt übernehmen (Stoyan & Glinz, 2005).

Bei Konzept A legt die Struktur bereits nahe, dass keine kooperativen Arbeiten stattfinden. Kooperative Arbeitsformen können jedoch beim Aufbau von Wissensstrukturen helfen, da die Teilnehmenden über einen Sachverhalt diskutieren, was unterschiedliche Sichtweisen auf den Lerngegenstand schafft. Hierdurch werden Elaborationsprozesse unterstützt. Genauere Ausführungen werden in Kapitel 2 gegeben. Zudem finden in den Konzepten wenige Differenzierungsprozesse statt, welche individuelle Vorkenntnisse und kognitive Fähigkeiten der Lernenden berücksichtigen. Um Differenzierungsprozesse und kooperatives Arbeiten stärker zu fördern, wird in dieser Arbeit eine neue Unterrichtskonzeption vorgeschlagen. Das Konzept trägt den Namen Analyzed Classroom, da Aufbau und Struktur der Lerneinheit sowie ein dazugehöriges IT-System dazu genutzt werden, um den Kompetenzstand der einzelnen Lernenden in Echtzeit zu messen und zu analysieren. Die Ergebnisse können noch in derselben Übung vom Lehrenden sinnvoll genutzt werden, um auf Probleme genauer einzugehen. Abbildung 1 zeigt den Analyzed Classroom im Vergleich zu den traditionellen Konzepten.


Abb 1: Verschiedene Veranstaltungskonzepte im Vergleich

Alle drei Konzepte haben gemeinsam, dass zunächst das benötigte Wissen, im Sinne von deklarativen Fakten- und Zusammenhangswissen (vgl. Kapitel 2) erworben wird. In den traditionellen Vorlesungskonzepten müssen die Studierenden direkt danach anspruchsvolle Aufgaben lösen und werden beim anfänglichen Kompetenzerwerb alleine gelassen. Hier setzt der Analyzed Classroom an, indem die Lernenden stärker bei der Kompetenzentwicklung unterstützt werden und ihren Lernprozess gezielter auf ihre Vorkenntnisse anpassen können. Die detaillierte Konzeption des Analyzed Classroom ist in Kapitel 3 zu finden. Das Übungskonzept wird durch ein IT-System unterstützt, welches in Kapitel 4 näher erläutert wird. Ein konkretes Beispiel befindet sich in Kapitel 5. Die Evaluation des Unterrichtskonzeptes in Form einer Studie an der Friedrich-Schiller-Universität wird in Kapitel 6 dargestellt. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf weitere Forschungsarbeiten.

2. Grundlagen

In dieser Arbeit wird Lernen als Wissenserwerb verstanden. Eine ausführliche Darstellung über den aktuellen Forschungsstand über die verschiedenen Wissensformen und Perspektiven auf den Wissenserwerb wird von Renkl (2015) zusammengestellt. In diesem Grundlagenteil werden die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser Abhandlung zusammengefasst. Wissen kann in drei Kategorien eingeordnet werden:

  • Deklaratives Wissen: Hiermit ist Faktenwissen oder das Wissen über Zusammenhänge gemeint. Auf den Lerngegenstand der UML übertragen zählt hierzu beispielsweise die Kenntnis über die Notationselemente eines Klassendiagrammes oder Sequenzdiagrammes.

  • Prozedurales Wissen: Hiermit wird die Fähigkeit bezeichnet, dass Wissen anzuwenden. Prozedurales Wissen wäre beispielsweise die Fähigkeit für ein gegebenes Problem ein Klassendiagramm zu erstellen.

  • Metakognitives Wissen: Hierunter wird das Wissen über den eigenen Wissensstand bezeichnet. Das beinhaltet die Fähigkeit zur Selbsteinschätzung oder die Kenntnis und Auswahl geeigneter Lernstrategien.

Über den Wissenserwerb existieren drei grundlegende Perspektiven. Die Perspektive des aktiven Tuns stellt die sichtbare Aktivität der Lernenden in den Vordergrund. Beispiele sind aktives Problemlösen oder ein aktiver Diskurs. Ein Studienergebnis von Renkl (2011) widerspricht dieser These. Die Ergebnisse zeigen, dass es für den Lernprozess förderlicher ist, wenn die Lernenden zunächst passiv mehrere Lösungsbeispiele studieren, bevor sie selber tätig werden. Fischer und Mandel (2005) kritisieren diese Perspektive ebenfalls, da bei ihren Untersuchungen Lernende die genau die gleichen sichtbaren Tätigkeiten durchführen am Ende unterschiedliches Wissen besitzen.

Die Perspektive der aktiven Informationsverarbeitung reagiert auf diese Kritik und stellt den Informationsverarbeitungsprozess des Lernenden in den Mittelpunkt, um unterschiedliche Lernausgänge bei gleichem Input zu erklären. Der Prozess des Wissenserwerbs gliedert sich in die Phasen: Interpretieren, Selegieren, Organisieren, Elaborieren, Stärken und Generieren. Beim Interpretieren werden die einkommenden Daten in Informationen umgewandelt, wobei das Vorwissen dabei eine entscheidende Rolle spielt. Beim Selegieren werden die wichtigsten Informationen aus den zahlreichen einströmenden Reizen ausgewählt. Anschließend werden Zusammenhänge zwischen den Informationen hergestellt und Hauptaussagen hervorgehoben. Diese Tätigkeit wird als Organisieren bezeichnet. Es folgt das Elaborieren, wobei die neuen Informationen mit dem vorhandenen Wissen verknüpft werden. Nach Möglichkeit sollten viele Anknüpfpunkte gefunden werden, damit das Wissen gut vernetzt ist. Dann ist es, im Vergleich zu trägem Wissen, leichter abrufbar. Durch Wiederholung kann das erworbene Wissen gestärkt werden. Ein Lernender sollte nicht sofort aufhören zu üben, sobald er einen Aufgabentyp das allererste Mal richtig bearbeitet hat. Jedoch sollte ebenso das Überlernen vermieden werden, da nach einer gewissen Anzahl an Wiederholungen eine Sättigungsgrenze erreicht und kein neues Wissen mehr generiert wird. Den letzten Schritt stellt das Generieren dar. Hier wird vorhandenes Wissen auf neuem Wege miteinander verknüpft, um sich damit neue Sachverhalte zu erschließen.

Einen Kritikpunkt an der vorherigen Perspektive stellen fehlpriorisierte Konzepte dar. Eine Studie von Mandl, Gruber und Renkl (1993) zeigt, dass ein Überangebot an Informationen dazu führen kann, dass Lernende sich auf unwichtige Details fokussieren und wichtige Informationen hingegen nicht beachten. Am konkreten Beispiel sollten die Lernenden eine Jeans-Fabrik in einer computerbasierten Wirtschaftssimulation verwalten. Die Lernenden haben sich zwar aktiv mit dem Lernstoff auseinandergesetzt, aber konnten wichtige Zusammenhänge aufgrund der zahlreichen Konfigurationsmöglichkeiten nicht erkennen. Die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung reagiert auf diese Kritik und erweitert die vorhergehende Lösung dadurch, dass dem Lernenden nur noch wirklich relevante Informationen präsentiert werden. Damit kann eine kognitive Entlastung beim Aufgabenverstehen geschaffen werden. Die freien Kapazitäten können dann für den wirklichen Problemlöseprozess aufgewendet werden.

In dieser Arbeit wird die Perspektive der fokussierten Informationsverarbeitung verwendet, da diese in der Fachliteratur sehr verbreitet ist. Aus dieser Perspektive leiten sich wichtige Folgerungen für die Unterrichtskonzeption ab, welche als Anforderungen an das hier entworfene Lernsetting festgehalten werden:

  • (A1) Beim anfänglichen Erwerb von kognitiven Fähigkeiten ist das beispielbasierte Lernen eine effektive und effiziente Möglichkeit. Damit ist das Lernen aus Lösungsbeispielen gemeint, wobei dem Lernenden mehr als eine Aufgabe eines Typs präsentiert werden sollte.

  • (A2) In Texten und Aufgaben erfolgt eine Beschränkung auf die wesentlichen Informationen. Wichtige Begriffe werden deutlich hervorgehoben.

3. Das Übungskonzept: Analyzed Classroom

In diesem Kapitel wird der Analyzed Classroom vorgestellt. Hierbei handelt es sich um ein Rahmenwerk für eine Unterrichtskonzeption in der Hochschullehre, welches Differenzierungsprozesse unterstützt. Der Autor dieser Arbeit hat die Konzeption auf Grundlage von Erkenntnissen aus der Pädagogischen Psychologie erstellt. Die Grundidee des Analyzed Classroom besteht darin, den Lernenden besser bei seinem Kompetenzerwerb zu unterstützen. Nach Hattie und Timperley (2007) ist ein gutes Feedback für den Lernenden wichtig, damit dieser gezielt an seinen Schwächen arbeiten kann. Hieraus resultiert, dass offene Unterrichtsformen eingesetzt werden müssen, um dem Lernenden entsprechende Wahlmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. In offenen Unterrichtsformen ist es jedoch für den Lehrenden schwierig den Überblick zu behalten, da er nicht jeden Lernenden zeitgleich beobachten kann. Um die genannten Probleme aufzulösen, wird in dieser Arbeit vorgeschlagen das Feedback durch ein IT-System halbautomatisiert zu erstellen. Das Konzept lässt sich in verschiedene Phasen gliedern.

Vorbereitungsphase: Diese Phase findet vor der eigentlichen Lernhandlung statt. Hierbei handelt es sich um die Planungsebene der Unterrichtseinheit durch den Lehrenden. Er muss die Lernziele definieren. Die Ziele müssen konkrete Inhaltsbereiche adressieren und messbar sein. Eine Kompetenz sollte deshalb in einzelne Kompetenzfacetten zerlegt werden. Nach Möglichkeit kann hierbei auf bestehende Kompetenzmodelle zum Lerngegenstand Bezug genommen werden. In Kapitel 5 ist ein Beispiel zu sehen, welche die Lernzieldefinition in der ISYS zeigt.

Der Lehrende bereitet weiterhin Lernunterlagen vor, welche zunächst neue Begriffe einführen und anschließend bereits gelöste Beispielaufgaben zeigen. Hierbei muss es für jede Kompetenzfacette mehr als eine Beispielaufgabe geben. Auf diese Weise wird Lernen an Modellen gefördert, womit Anforderung (A1) aus Kapitel 2 umgesetzt wird. Um Anforderung (A2) zu erfüllen ist es wichtig, die Lernmaterialien übersichtlich zu gestalten. Unwichtige Details sind auszulassen. Wichtige Begriffe sollten mit Hilfe von Merkkästen hervorgehoben werden.

Phase 1: Der Lernprozess der Studierenden beginnt mit dem Erwerb von deklarativen Fakten- und Zusammenhangswissen durch eine Vorlesung.

Phase 2: In dieser Phase beginnt der Kompetenzerwerb. Nach der Cognitive-Load-Theorie ist es besonders günstig, wenn der Lernende zu Beginn der Kompetenzentwicklung entlastet wird (siehe Kapitel 2). Ein Unterricht, der nach dem Analyzed Classroom, aufgebaut wird, versucht dies zu berücksichtigen und den Lernenden zu entlasten, indem er Beispiele von bereits gelösten Aufgaben studieren kann, um Sicherheit zu gewinnen. Hierfür werden den Lernenden die Unterlagen bereitgestellt, welche der Lehrende in der Vorbereitungsphase produziert hat. Das Bearbeiten der Unterlagen findet in Heimarbeit statt, wodurch die Lernenden die Themengebiete in ihrem eigenen Tempo durcharbeiten können.

Phase 3: In der Präsenzübung bearbeiten die Lernenden erstmalig eigenständig Aufgaben. Um Differenzierungsprozesse zu ermöglichen soll den Lernenden in dieser Phase der Lerngegenstand über eine Stationsarbeit zugänglich gemacht werden. Eine 90-minütige Übung gliedert sich in die folgenden Teile:

  • Einstieg (10 Minuten): Die Studierenden können sich in Kleingruppen über die Beispielaufgaben austauschen, welche sie zuhause angesehen haben und über Probleme diskutieren. Hier soll ein Wissenstransfer zwischen den Studierenden stattfinden. Währenddessen teilt der Lehrende die Tablets aus.

  • Erarbeitung (60-70 Minuten): Die Studierenden lösen Aufgaben an einer Stationsarbeit. Dabei nutzen Sie die zuvor ausgeteilten Tablets als Hilfsmittel. Für jede Station muss definiert sein, welche Kompetenzfacetten adressiert werden. Die möglichen Aufgabenformate werden in Kapitel 4 vorgestellt. Das System sammelt die Ergebnisse und wertet den Stand jeder Kompetenzfacette für alle Lernenden aus. Jeder Studierende kann seinen eigenen Kompetenzstand einsehen. Außerdem kann er über das System sehen, welche Kompetenzfacetten in den jeweiligen Stationen trainiert werden. Auf diese Weise kann der Lernende selber entscheiden, woran er weiterarbeiten möchte. Der Lehrende erhält bei jeder Eingabe eines Lernenden eine aktualisierte Übersicht über den Kompetenzstand seiner Gruppe. Damit kann er gezielt einzelnen Studierenden helfen oder Probleme, welche viele Studierende besitzen, nochmals an der Tafel aufgreifen.

  • Sicherung (10-20 Minuten): Die Studierenden haben die Möglichkeit Fragen zu stellen, welche im Unterrichtsgespräch diskutiert werden. Der Lehrende greift Themen, die laut Auswertung der Stationsarbeit Schwierigkeiten verursacht haben, nochmal auf.

Phase 4: Die Lernenden erhalten abschließend zur Übung eine Auswertung ihrer Ergebnisse direkt per E-Mail, um zuhause weiter an ihrer Kompetenzentwicklung arbeiten zu können. Sie sehen in der E-Mail-Auswertung, wo ihre Schwächen liegen und haben in einer nach Kompetenzfacetten gegliederten Lerntheke die Möglichkeit daran zu arbeiten.

4. E-Learning-System zur Stationsarbeit

In diesem Kapitel wird ein E-Learning-System beschrieben, welches vom Autor dieser Arbeit konzipiert und entwickelt wurde. Sowohl an der Konzeption und Entwicklung wurden Studierende beteiligt, um Anmerkungen aus der potentiellen Zielgruppe berücksichtigen zu können.

Das System ist als Client-Server-Architektur aufgebaut. Jeder Studierende erhält ein Tablet, auf dem eine Client-Anwendung installiert ist. Diese wurde als Android-App umgesetzt. Auf dem Laptop des Lehrenden läuft eine Serveranwendung. In der aktuellen Version ist diese in Java programmiert und nutzt eine H2-Datenbank zum Sichern der erstellten Stationsaufgaben, Stationsläufe und Ergebnisse.

Unter einem Stationslauf wird die Festlegung der vorhandenen Stationen inkl. Aufgaben sowie deren Abhängigkeiten verstanden. Viele Lerngegenstände bauen inhaltlich aufeinander auf und können daher nicht in beliebiger Reihenfolge durchlaufen werden. Im Stationslauf kann festgelegt werden, welche Stationen vor anderen absolviert werden müssen. Um den Studierenden eine Wahlmöglichkeit anzubieten, können zu einer Kompetenzfacette verschiedene Stationen hinterlegt werden, aus denen die Studierenden auswählen können. Abbildung 2 verdeutlicht diesen Sachverhalt.


Abb. 2: Struktur eines Stationslaufes

Der exemplarische Stationslauf besteht aus drei Arbeitsphasen. Zu Beginn werden dem Studierenden ausschließlich die Stationen 1, 2 und 3 angeboten. Der rote Kreis in der rechten oberen Ecke einer Arbeitsphase gibt an, wie viele Stationen erfolgreich bearbeitet werden müssen, um zur nächsten Arbeitsphase zu gelangen. Diese Anzahl legt der Lehrende beim Anlegen einer Stationsarbeit für jede erstellte Arbeitsphase fest. Beim Anlegen einer Station kann der Lehrende entscheiden ab welcher Punktzahl eine Station als erfolgreich absolviert gilt. Im Beispiel werden dem Studierenden die Stationen aus der zweiten Arbeitsphase erst angezeigt, nachdem er zwei Stationen aus der ersten erfolgreich absolviert hat. Damit ist sichergestellt, dass der Studierende über die nötigen Kompetenzfacetten K1 und K2 verfügt, bevor er Aufgaben mit weiteren Kompetenzfacetten bearbeitet. Der Lehrende sollte die Stationsarbeit so anlegen, dass es innerhalb einer Arbeitsphase Stationen mit unterschiedlich hohem Schwierigkeitsgrad gibt, damit die Studierenden entsprechend ihrer Vorkenntnisse wählen können. Die Schwierigkeit können die Studierenden der Beschreibung der einzelnen Stationen entnehmen. Im dargestellten Beispiel könnte in der ersten Arbeitsphase die erste Station einen geringen und die anderen beiden Stationen einen hohen Schwierigkeitsgrad aufweisen. Gute Studierende könnten dann Station 2 und 3 bearbeiten. Studierende mit lückenhaftem Vorwissen sollten mit Station 1 beginnen, um langsamer in die Thematik geführt zu werden, bevor sie sich entscheiden, welche Kompetenzfacette sie vertiefend an einer der schwereren Stationen bearbeiten wollen. In Arbeitsphase 2 besitzt Station 4 einen geringeren Schwierigkeitsgrad als Station 5, so dass wieder ein Differenzierungsangebot besteht. Anschließend können die Studierenden in der dritten Arbeitsphase selbst entscheiden, welche Kompetenzfacette sie noch einmal vertieft üben möchten. Um den Studierenden mehr Wahlfreiheiten zu geben, könnten mehrere Arbeitsphasen zu einer großen zusammengefasst werden. Im Extremfall besteht dann der Stationslauf im dargestellten Beispiel nur noch aus einer Arbeitsphase mit neun Stationen, von denen vier zu bearbeiten sind. Ein Vorteil dabei wäre, dass Studierende, die sich in einer Kompetenzfacette sehr sicher fühlen, diese auslassen und verstärkt die anderen Facetten üben könnten. Als Nachteil kann jedoch angeführt werden, dass für diese Studierende dann zu den nicht bearbeiteten Facetten kein Kompetenzstand erfasst und kein Feedback gegeben werden kann. Es könnten Wissenslücken unentdeckt bleiben. Hier muss der Lehrende für die Lerngruppe eine Entscheidung treffen. Falls die Lehrperson den Studierenden bereits eine gute eigene Diagnosekompetenz zutraut, kann sie mehr Wahlfreiheiten geben. Andernfalls ist es besser, die Erfassung wichtiger Kompetenzfacetten über die Definition von Arbeitsphasen sicherzustellen.

Um eine Entscheidung über den Wissensstand in einer Kompetenzfacette treffen zu können, bieten sich Methoden des Knowledge Tracing an. Hierbei werden Wahrscheinlichkeitsschätzungen vorgenommen, um für einen Lernenden zu entscheiden, ob er bereits über bestimmte Kompetenzen verfügt. Diese Wahrscheinlichkeit wird bei jeder Aufgabenbearbeitung aktualisiert. Sobald ein Studierender eine Antwort eingibt, wird diese vom Server ausgewertet. Eine Aufgabe kann einer oder mehrerer Kompetenzfacetten zugeordnet sein. Der Kompetenzstand eines Studierenden in einer Facette errechnet sich als Quotient aus der Anzahl der richtig gelösten und der Anzahl der insgesamt bearbeiteten Aufgaben zu dieser Kompetenzfacette. Wird eine Multiple-Choice-Frage beantwortet, wird die Anzahl der bearbeiteten Aufgaben in den zugeordneten Kompetenzfacetten um eins erhöht. Bei einer richtigen Antwort, wird auch die Anzahl der richtig gelösten Aufgaben in den zugeordneten Kompetenzfacetten um eins erhöht. Bei einem Memory-Lernspiel werden den einzelnen Karten Kompetenzfacetten zugeordnet. Wird ein Kartenpaar als Tipp abgegeben, wird die Anzahl der bearbeiteten Aufgaben in den zugeordneten Kompetenzfacetten beider Karten um eins erhöht. Falls die Zuordnung richtig ist, wird ebenfalls die Anzahl der richtig bearbeiteten Aufgaben erhöht. Bei offenen Aufgaben gibt der Studierende eine Selbsteinschätzung ab, ob er diese richtig oder falsch bearbeitet hat. Entsprechend werden auch hier die bearbeiteten bzw. richtig gelösten Aufgaben in den zugeordneten Kompetenzfacetten erhöht.

Ein Studierender kann sich seinen aktuellen Kompetenzstand als Balkendiagramm anzeigen lassen. Die Auswertung kann Studierenden helfen, sich für neue Stationen zu entscheiden. Stationen, die nicht von physischem Material abhängig sind, stehen hierbei in unbegrenzter Anzahl zur Verfügung und können parallel von mehreren Studierenden bearbeitet werden. Andernfalls kann der Lehrende beim Erstellen der Stationsarbeit angeben, wie viele Studierende eine Station maximal parallel bearbeiten können.

Neben der Möglichkeit dem Lernenden Feedback zu seinem aktuellen Kompetenzstand zu geben, wird in Arbeiten zum Knowledge Tracing diskutiert, dass ein System für den Lernenden weiterführende geeignete Aufgaben festlegen könnte. In dieser Arbeit wird sich bewusst dagegen entschieden, dem Lernenden anhand seiner Ergebnisse spezifische Aufgaben vorzuschlagen, um seine intrinsische Lernmotivation aufrecht zu erhalten. Das didaktische Prinzip der Motivierung ist in einem offenen Unterrichtskonzept wie dem Stationenlernen ein entscheidendes Kriterium für Erfolg. Nach Hubwieser (2007) wird unter Motivation ein kurz dauernder Zustand des Angetrieben seins verstanden. Motivierung hingegen ist das aktive Bemühen, um einen solchen Motivationszustand herzustellen. Es kann extrinsische und intrinsische Motivation unterschieden werden (Schiefele & Schaffner, 2015). Extrinsische Motivation liegt vor, falls ein Lernender nur lernt, um eine gute Bewertung zu bekommen, aber nicht aus dem Grund, dass ihm die Lernhandlung Freude bereitet. Ist die Lernhandlung selbst mit positiven Erlebniszuständen verbunden, ist der Lernende intrinsisch motiviert. Letzteres ist immer vorzuziehen, da dann die Lerneffekte längerfristiger sind. Deci und Ryan (1985) geben in ihrer Selbstbestimmungstheorie an, dass die Wahrnehmung von Kompetenzerleben, Selbstbestimmung und sozialer Bezogenheit die intrinsische Motivation fördert. Um Selbstbestimmung zu gewährleisten, dürfen die Folgeaufgaben nicht durch das System fest vorgegeben werden.

In der aktuellen Stationsarbeit sind die Aufgabentypen Multiple-Choice und Memory möglich. Offenere Aufgabenformate werden umgesetzt, indem die Lernenden manuelle Auswertungshilfen (z.B. Lösungskarten) erhalten. Dann tragen sie im System ein, ob sie erfolgreich waren oder nicht. Das Aufgabenformat Memory wurde aufgenommen, um kooperative Lernaktivitäten zu fördern. Bei dieser Memory-Variante sind alle Karten zu Beginn bereits aufgedeckt. Ziel ist es, Karten zu finden, welche zueinander passen. In Veranstaltungen für Sprachwissenschaften könnten beispielsweise Wörter und deren Übersetzung Paare bilden. In Kapitel 5 wird ein entsprechendes Memoryspiel skizziert, welches für den Einsatz in der ISYS entworfen wurde. Da kooperative Aufgaben mehrere Teilnehmende erfordern, ist es wichtig, dass zwischen Stationen zeitgleich gewechselt wird. Aus diesem Grund vereinbart der Lehrende mit den Studierenden einen Zeitrahmen, den sie für die Bearbeitung zur Verfügung haben, bevor ein Wechsel der Stationen erfolgt. Aus dieser Konzeption folgt, dass Stationen innerhalb einer Arbeitsphase die gleiche Bearbeitungsdauer aufweisen müssen. Damit das unterschiedliche Arbeitstempo von Studierenden berücksichtigt wird, sollten bei Multiple-Choice mehr Fragen hinterlegt werden, als ein Studierender in der eingeplanten Zeit bearbeiten kann, wobei die am Ende gestellten Fragen keine neuen Kompetenzfacetten prüfen. Schnelle Studierende beantworten mehr Fragen, womit der ermittelte Kompetenzstand genauer wird. Langsame Studierende schaffen die letzten Fragen dann nicht, was aber kein Problem darstellt, da in ihre Diagnose dann nur die bearbeiteten Aufgaben einbezogen werden. An anderen Stationen könnten Knobelaufgaben hinterlegt werden, die auf einem Blatt Papier bearbeitet werden und an andere Stationen mitgenommen werden können.

Der Lehrende kann den Wechsel zwischen zwei Arbeitsphasen im System veranlassen. Die Bearbeitung der aktuellen Station wird daraufhin für alle Studierenden geschlossen und ein Auswahlmenü erscheint, damit sie den zur Verfügung stehenden Stationen entsprechend ihrer Wünsche Prioritäten zuordnen können. Dabei kann es passieren, dass nicht jeder Studierende seinen Erstwunsch erhalten kann, falls für eine kooperative Gruppenarbeit nicht genügend Teilnehmende zur Verfügung stehen. In der aktuellen Version des Algorithmus darf es pro Gruppe maximal eine Station mit mehr als zwei Teilnehmenden geben. Der Matching-Algorithmus weist daraufhin jedem Studierenden seinen Erstwunsch zu. Falls dabei bei der Mehrspielerstation der Fall auftritt, dass Teilnehmende übrigbleiben, werden diese Teilnehmende entsprechend ihrer Prioritätsliste auf andere Stationen verteilt.

Der Lehrende kann den Lernstand seiner Übungsgruppe betrachten. Hierfür steht ihm für eine erste Orientierung eine Aufteilung der Lerngruppe in drei Kategorien (sehr gut, akzeptabel, ungenügend) zur Verfügung.


Abb. 3: Screenshot der Oberfläche des Lehrenden (Gruppierung nach Leistung)

Abbildung 3 zeigt die entsprechende Sicht. Je nach Leistungsstand sind die Studierenden in der grünen, gelben oder roten Spalte dargestellt. Der Lernstand eines einzelnen Studierenden kann genauer betrachtet werden, was sich besonders bei Studierenden aus der roten Spalte anbietet, um zu analysieren, wie der Lehrende am besten helfen kann. Hier ist sein Kompetenzstand als Balkendiagramm dargestellt. In der Abszisse befinden sich die verschiedenen Kompetenzfacetten, welche in diesem Stationslauf trainiert werden. Auf der Ordinate wird der erreichte Anteilswert der richtig gelösten Aufgaben in Prozent angezeigt. Eine analoge Ansicht kann ebenfalls für alle Studierenden des Stationslaufes erstellt werden, wie Abbildung 4 zeigt. Diese Darstellung ergibt sich durch Mittelwertbildung der einzelnen Ergebnisse zur jeweiligen Kompetenzfacette über alle Studierenden.

Die angegebene Auswertung zeigt dem Lehrenden, dass nur ein Drittel der Aufgaben, in denen die Kompetenzfacette K7 vorkommt, richtig bearbeitet wurden. In der Kompetenzfacette K4 wird ein ähnlich schlechter Wert erreicht. Diese Themengebiete sollte er nochmals in der Sicherungsphase zum Abschluss der Veranstaltung an der Tafel aufgreifen.


Abb. 4: Screenshot der Oberfläche des Lehrenden (Lernstand)

5 Beispiel einer Unterrichtskonzeption in der ISYS

In diesem Kapitel sollen ausgewählte Aspekte aus den vorherigen allgemeinen Beschreibungen am Beispiel gezeigt werden, um ein vertiefendes Verständnis zu ermöglichen.

In der Vorbereitungsphase des Analyzed Classroom müssen Kompetenzen in Kompetenzfacetten zerlegt werden, um verschiedene Inhaltsbereiche adressieren zu können. Das übergeordnete Lernziel in der ISYS lautet nach Modulkatalog sinngemäß: Die Studierenden können eine Objektorientierte Analyse durchführen, indem Sie Anforderungen an ein System durch Klassen-, Objekt- und Sequenzdiagramme darstellen. Um einzelne Teilbereiche mit den Studierenden gezielt üben zu können, muss diese Kompetenzdefinition in spezifischere Kompetenzfacetten zerlegt werden. Hierbei wurde das bestehende Kompetenzmodell von Rhode (2013) verwendet, welche die objektorientierte Analyse-Kompetenz folgendermaßen zerlegt:

  • K1 (in Rhode K1.3.2.1) Die Lernenden können objektorientierte Begrifflichkeiten angeben und erläutern. Dies ist Grundvoraussetzung, um eine objektorientierte Dekomposition durchführen zu können.

  • K2 (in Rhode K1.3.2.2) Die Lernenden sind in der Lage, eine objektorientierte Dekomposition durchzuführen; d.h. sie können anhand einer textuellen Beschreibung des Problembereichs mögliche Klassenkandidaten, Attribute und Methoden ermitteln (auffinden) und diese in eine formale Darstellungsform überführen. Hierbei besteht die Zielsetzung ein Modell des Problembereichs zu erstellen.

  • K3.1 (in Rhode K1.3.2.3.2) Objektdiagramm: Die Lernenden sind in der Lage, Objektdiagramme zu entwickeln; diese können relevante Objekte ermitteln, erläutern wie die Objekte untereinander kommunizieren und von gleichartigen Objekten Klassen ableiten.

  • K3.2 (in Rhode K1.3.2.3.3) Sequenzdiagramm: Die Lernenden sind in der Lage, Sequenzdiagramme zu entwickeln; diese können sie ggf. ausgehend von Use Case Diagrammen überführen.

  • K4 (in Rhode K1.3.2.3.4) Klassendiagramm: Die Lernenden sind in der Lage, Analyse-Klassendiagramme zu entwickeln; diese können sie ggf. ausgehend von textuellen Beschreibungen, CRC-Karten, Use Case Diagrammen oder Objektdiagrammen überführen; sie können Klassen inklusive Attributen und Methoden definieren (K4.1), Assoziationen festlegen (K4.2) und sinnvolle Vererbungsstrukturen entwickeln (K4.3).

Das Modell stammt ursprünglich aus dem schulischen Bereich und ist für einen Unterricht in der Sekundarstufe II gedacht. Da es für den universitären Bereich bisher kein vergleichbares Modell gibt, wurde dieses Modell verwendet und um Kompetenzfacetten ergänzt, die aus Sicht des Autors in einer universitären Veranstaltung zur objektorientierten Analyse vermittelt werden sollten. Hierzu wurden Analysemodelle aus Lehrbüchern (Oestereich, 2006; Pohl, 2009; Balzert 2005; Partsch 2009; Sommerville 2007) und universitären Projekten auf häufig wiederkehrende Elemente untersucht. Das Ergebnis der Arbeit liefert die nachfolgenden Ergänzungen:

  • K5 Die Lernenden können bei der Wahl einer Beziehung zwischen Klassen beurteilen, ob eine Assoziation, Komposition oder Aggregation zu verwenden ist.

  • K6 Die Lernenden können den Begriff abstrakte Klasse erklären.

  • K7 Die Lernenden können das Konstrukt Enumeration anwenden.

Nachfolgend wird exemplarisch zu jedem Aufgabentyp des IT-Systems eine Aufgabe vorgestellt und einer Kompetenzfacette zugeordnet. Abbildung 5 zeigt eine Multiple-Choice-Aufgabe. Sie adressiert die Kompetenzfacette K4.2, da die Studierenden die Kardinalitäten auf den Assoziationen richtig lesen und interpretieren müssen.

In Abbildung 6 wird gezeigt, wie ein Memory-Spiel sinnvoll im Kontext der objektorientierten Analyse eingesetzt werden kann. Hierbei handelt es sich um klassische Zuordnungsaufgaben. Das Spielprinzip für diese Memoryvariante wurde bereits von Gebhardt (2016) auf der Fachtagung Hochschuldidaktik der Informatik veröffentlicht und kann dort nachgelesen werden. In dem Spiel existieren vier verschiedene Kartentypen: Klassendiagramm-, Objektdiagramm-, Aussagen- und Papierkorbkarte. Karten verschiedener Typen passen zueinander, wenn das Objektdiagramm eine gültige Ausprägung des Klassendiagrammes zeigt oder wenn eine Aussage den modellierten Sachverhalt auf einer Klassen- bzw. Objektdiagrammkarte


Abb. 5: Beispiel einer Multiple-Choice-Aufgabe


Abb. 6: Beispielkarten eines UML-Memory-Spiels

wiederspiegelt. Falls für eine Karte keine Partnerkarte existiert, ist der Papierkorb die passende Wahl. Mit diesem Spiel wird vorwiegend die Kompetenzfacette K3 adressiert. Es können aber auch Notationselemente und deren semantische Beschreibung als Paare erstellt werden, womit K1 geübt wird. Aussagen, die ein Klassendiagramm beschreiben, zielen auf K2 bzw. K4 ab. Insbesondere kann geübt werden, mit Kardinalitäten richtig umzugehen, wie das Beispiel in der Abbildung zeigt.

Sowohl bei Multiple-Choice als auch bei Memory besteht der enorme Vorteil des entwickelten E-Learning-Systems neben einer automatisierten Auswertung des Kompetenzstandes darin, dass die Studierenden sofort ein Feedback erhalten, ob ihre Gedankengänge richtig sind. In der aktuellen Version erfolgt dieses Feedback über eine richtig/falsch Aussage. Damit können Fehlvorstellungen schnell erkannt und hinterfragt werden. Die Umsetzung einer offenen Aufgabe in diesem Gebiet ist mit UML-Krimi ebenfalls in Gebhardt (2016) beschrieben und wird hier nicht weiter ausgeführt.

6. Evaluation und Ausblick

Um zu prüfen, ob der Analyzed Classroom verglichen mit traditionellen Unterrichtsmethoden einen Vorteil bringen kann, wurde die Unterrichtskonzeption in der Lehrveranstaltung Grundlagen der Informations- und Softwaresysteme an der Friedrich-Schiller-Universität Jena im Sommersemester 2016 eingesetzt. Parallel zur neuen Konzeption durchlief eine Kontrollgruppe die Veranstaltung mit dem traditionellen Unterrichtskonzept mit Projektarbeit (Konzept B). An der Veranstaltung haben 26 Studierende teilgenommen. Folgende Fachrichtungen sind vertreten: 17x Informatik, 2x Angewandte Informatik, 4x Wirtschaftsinformatik, 2x Wirtschaftswissenschaften und ein Bachelorstudierender mit Geschichte und Ergänzungsfach Informatik.

Die Studierenden konnten sich in der ersten Vorlesung nach einer Vorstellung beider Konzepte für ein Konzept entscheiden. Die Studie hätte eine höhere Aussagekraft, wenn die Studierenden zufällig auf die Übungsformen verteilt worden wären. Da es sich jedoch um ein notenrelevantes Modul handelt, hat sich der Autor dieser Arbeit für die freie Wahlmöglichkeit entschieden. Dabei wählten 12 Studierende (1x Wirtschaftsinformatik, 1x Angewandte Informatik und 10x Informatik) das Konzept B, während sich 15 Studierende für den Analyzed Classroom entschieden haben. Die Vorlesung besuchten beiden Gruppen gemeinsam. Jede Gruppe absolvierte dabei zwei Übungen nach dem jeweiligen Konzept. Anschließend wurde eine Befragung durchgeführt, welche die intrinsische Motivation bei den Teilnehmenden misst. Zusätzlich wurde ein Testat geschrieben, welches den Kompetenzstand der Lernenden erfassen sollte. Zur Erfassung der intrinsischen Motivation wurde die Kurzskala von Wilde u.a. (2009) genutzt, um den Bearbeitungsaufwand für die Teilnehmenden im akzeptablen Rahmen zu halten.

Vergnügen

Kompetenz

Wahlfreiheit

Druck

Motivation

I 19

I 20

MW

10,43

8,93

6,38

4,71

20,57

3,57

3,64

SD

1,40

1,38

1,45

1,94

4,15

0,51

0,5

Tabelle 1: Mittelwert (MW) und Standardabweichung (SD) im Analyzed Classroom (n = 14)


Vergnügen

Kompetenz

Wahlfreiheit

Druck

Motivation

I 19

I 20

MW

7,67

9,17

8,83

6,67

19,00

3,25

3,00

SD

2,31

1,70

2,17

1,61

4,41

0,87

0,85

Tabelle 2: Mittelwert (MW) und Standardabweichung (SD) in der Projektarbeit (n = 12)


Es werden die vier Prädiktoren Vergnügen, Kompetenz, Wahlfreiheit und Druck jeweils mit drei unterschiedlichen Items abgefragt und kumuliert erfasst. Die vier Antwortmöglichkeiten pro Item von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft völlig zu“ werden mit den Werten 1 bis 4 kodiert. Zum Ermitteln der intrinsischen Motivation wird die Summe aus Vergnügen, Kompetenz und Wahlfreiheit gebildet und der Wert für Druck subtrahiert, da es sich hierbei um einen negativen Prädiktor handelt. Mit den zusätzlichen Items „Ich finde, dass die Übung zum Verständnis des Stoffes beigetragen hat.“ (Item 19) und „Ich habe in der Übung die Vorlesungsinhalte sinnvoll vertieft und gefestigt.“ (Item 20) wurde abgefragt, wie die Studierenden ihren Lernerfolg selber einschätzen. Die Ergebnisse können den Tabellen 1 und 2 entnommen werden. Mit einem zweiseitigen t-Test konnten in Motivation und Item 19 keine signifikanten Unterschiede ermittelt werden. Das positive Ergebnis der Projektarbeit bzgl. Motivation ist im Vergleich zu den Vorerfahrungen aus den vergangenen Semestern und dem Feedback damaliger Studierender überraschend. Es ist anzunehmen, dass das Ergebnis in diesem Semester so hoch ist, da die Studierenden im Vorfeld ihre Übungsform frei wählen konnten. Der hohe Aufwand der Projektarbeit wurde bereits bei der Vorstellung der Übungsformen vom Lehrenden erwähnt und so haben in diesem Semester nur überaus motivierte Studierende diese Übungsform gewählt, die wussten, was auf sie zukommt. In Item 20 gibt es einen signifikanten Unterschied (p = 0,034). Der Mittelwert im Analyzed Classroom ist größer, was darauf hinweist, dass diese Übungsform sinnvolles Üben besser unterstützt.

Eine interessante Fragestellung ist ebenfalls, ob die erstellten Übersichten des IT-Systems den tatsächlichen Kompetenzstand so gut wiederspiegeln, dass der Lehrende tatsächlich in der Sicherungsphase auf die Problemfelder eingeht. Dazu wurde das folgende Item in die Befragung aufgenommen: „Die vom Dozenten aufgegriffenen Inhalte an der Tafel haben zu meinen Verständnisproblemen gepasst.“ Der Median liegt in diesem Item bei 4. Damit wird bestätigt, dass die IT-unterstütze Auswertung den Lehrenden sinnvoll bei seiner Themenwahl unterstützt.

Um den Kompetenzzuwachs der Studierenden objektiv messen zu können, wurde zusätzlich ein Kompetenztest entworfen und mit den Studierenden durchgeführt. Dafür hat jeder Studierende drei Aufgaben bearbeitet, welchen bestimmte Kompetenzfacetten zugeordnet waren.

In dieser Arbeit wird exemplarisch eine Aufgabe besprochen. Die anderen Aufgaben wurden auf analoge Weise konstruiert. Die Erstellung der Aufgabe wurde in Anlehnung an Rhode (2013) durchgeführt. In dieser Arbeit wird beschrieben, wie ein Messinstrument zur Kompetenzstandbestimmung konstruiert werden kann. Rhode definiert hierbei sinngemäß die folgenden drei Schritte:

  1. Es müssen Aufgabenitems entwickelt werden, welche jeweils eine der zuvor definierten Kompetenzkategorien/-facetten adressieren.

  2. Die einzelnen Aufgabenitems werden zu größeren Aufgaben zusammengefasst.

  3. Jede Aufgabe wird mit einem lebensweltnahen Stimulus kombiniert.

Abbildung 7 zeigt eine nach diesem Schema konstruierte Aufgabe aus dem erstellten Kompetenztest für die ISYS-Studie. Das Ergebnis der Studie ist in Tabelle 3 zu sehen. Das Resultat des Kompetenztests bestätigt das subjektive Empfinden der Studierenden aus der vorherigen Befragung.


Abb. 7: Aufgabe zu Kompetenzmessung aus dem ISYS-Test

Tabelle 3 zeigt, dass die Teilnehmer des Analyzed Classrooms durchschnittlich in jeder Kompetenzfacette einen besseren Wert als die Vergleichsgruppe erreichten. Ein Studierender erhält in jeder Kompetenzfacette einen Wert von 1, wenn er diese Kompetenzfacette nachgewiesen hat. Andernfalls wird der Score 0 vergeben. In der Auswertung wird die Annahme getroffen, dass jede Facette gleichwichtig ist. Damit ergibt sich die Analysekompetenz für einen Studierenden als Summe der einzelnen Facettenwerte. Die Teilnehmer der Kontrollgruppe erreichen durchschnittlich einen Kompetenzstand von 4,45, während die Teilnehmer des Analyzed Classroom 6,83 erreichen. Es handelt sich hierbei um einen hoch signifikanten Unterschied (p = 0,005), welcher andeutet, dass eine Weiterentwicklung des Analyzed Classroom und Evaluation in einer größeren Lehrveranstaltung sinnvoll ist. Erstaunlich an dem sehr guten Ergebnis ist ebenfalls, dass die Studierenden im Analyzed Classroom angegeben haben, dass sie durchschnittlich für jede Übung nur 132 Minuten aufgewendet haben.

K2

K3.1

K3.2

K4.1

K4.2

K4.3

K5

K6

Analysekompetenz

MW (AC)

0,87

0,93

0,73

0,73

0,83

0,93

0,87

0,93

6,83

SD (AC)

0,35

0,26

0,46

0,46

0,24

0,26

0,35

0,26

1,06

MW (PA)

0,8

0,7

0,1

0,3

0,65

0,5

0,7

0,7

4,45

SD (PA)

0,42

0,48

0,32

0,48

0,24

0,53

0,48

0,48

2,05

Tabelle 3: Auswertung des Kompetenztests im Analyzed Classroom (AC, n = 15) und der Projektarbeit (PA, n = 10)


Dabei ist die 90-minütige Präsenzzeit bereits miteingeschlossen. Teilnehmende der Kontrollgruppe geben im Mittel einen Arbeitsaufwand von 216 Minuten pro Übung an. Es ist geplant das Konzept im Sommersemester 2017 erneut in der ISYS einzusetzen. In diesem Jahrgang ist mit einer größeren Hörerschaft zu rechnen, außerdem soll ein Vor- und Nachtest durchgeführt werden, um den tatsächlichen Lernzuwachs der Studierenden beurteilen zu können. Es ist geplant alle Ergebnisse dieser Forschungsarbeit in Form einer Dissertation zeitnah zu veröffentlichen, wodurch die verwendeten Tests, erstellten Aufgaben und Programme im Detail einsehbar werden. Weitere Forschungsarbeiten könnten in der Erweiterung des Konzeptes und des E-Learning-Systems liegen. Beispielsweise könnte untersucht werden, ob ein Algorithmus, der die Zuordnung der Studierenden zu Stationen optimal löst, einen Mehrwert bringt. Mögliche Ansätze könnten von Konert, Bellhäuser, Röpke, Gallwas und Zürich (2016) übernommen werden.

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