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  • Perspektiven von Wissenschaft und Praxis auf die digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung
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Nahtlos Lernreisen ermöglichen

Die Nutzung von digitalen Technologien und Medien ist fester Bestandteil eines jeden Alltags, und ebenso sind Geschäftsprozesse nicht mehr ohne IT-Basiertheit zu denken. Dabei wird die Anforderung, digitale Technologien möglichst universell und nahtlos nutzen zu können, selten hinterfragt, sondern schlicht vorausgesetzt. Wenn es jedoch zu Bildungsprozessen kommt, dann stellt sich das Thema noch einmal anders dar. Denn blickt man auf das Bildungssystem, so zeigt sich dieses als eine äußerst vielfältige, aber zugleich heterogene Landschaft, die einerseits viele Lern- und Austauschmöglichkeiten bereithält. Auf der anderen Seite sind diese aber auch stark fragmentiert und zu selten anschlussfähig. Die Fragmentierung wird zudem an den Bildungssektoren, die ihren jeweils eigenen Regeln und (digitalen) Logiken folgen, sowie an der unterschiedlichen Ausgestaltung der Bildung im föderalen Kontext der Bundesrepublik und auch international bspw. der Europäischen Union sichtbar. Das inhärente Versprechen, das lebenslanges Lernen bereit hält - nämlich lebensbegleitend Zugang und Teilhabe an Bildung haben zu können - ist bislang nur in Ansätzen digital eingelöst. Das betrifft besonders Schwellensituationen und Übergänge. Sei es von der Schule ins Studium, vom Studium in den Arbeitsmarkt oder bei der Wahrnehmung von Weiterbildungsangeboten mitsamt digitalen Kompetenznachweisen und deren universeller Nutzung durch die Lernenden selbst. Hinzu kommt, dass Bildungs- und damit assoziierte Verwaltungsprozesse zu selten digital korrespondieren, was viele analoge Verfahren Stand heute bezeugen. Persönliche Informationen müssen oftmals papierbasiert verarbeitet werden. Bildungsangebote existieren unverbunden nebeneinander, was nahtlose digitale Lernreisen verhindert. Interoperabilität ist eine der zentralen Herausforderungen, der es zu begegnen gilt. Unter Interoperabilität versteht man die Fähigkeit verschiedener Systeme, Anwendungen und Geräte, miteinander zu interagieren, Informationen auszutauschen und nahtlos zusammenzuarbeiten. Im Kontext der digitalen Bildung spielt die Interoperabilität eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, dass verschiedene Bildungstechnologien, Plattformen und Ressourcen effektiv vernetzt und genutzt werden können. Interoperabilität lässt sich dabei entlang verschiedener Dimensionen betrachten, beispielsweise technisch, semantisch, organisatorisch und politisch-rechtlich. Mit dem Thema Interoperabilität treten zugleich weitere Probleme auf den Plan, die mitbetrachtet und für die adäquate Lösungen gefunden werden müssen. Das betrifft u.a. Standards und (Lern-)Taxonomien, die übersetzbar und anschlussfähig gemacht werden müssen. Aber auch Datensicherheit und Datenschutz, sodass insbesondere die Nutzenden selbst die Kontrolle über ihre Daten haben und diese souverän verwalten können. Nicht zuletzt stellen die Benutzererfahrung und Benutzerfreundlichkeit wichtige Faktoren dar, damit Datenkommunikation zwischen Systemen, die meist unbemerkt abläuft, auch als ansprechende, angenehme Lernreise wahrgenommen wird.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie ein politischer Impuls aussehen kann, der sich einem derart komplexen politisch-technischen Unterfangen widmet, die richtigen Akzente setzt und dabei die Stakeholdercommunities einbindet. Denn letztendlich geht es darum, den Aufbau eines digitalen Bildungsraums zu ermöglichen und zu fördern, der Innovationspotentiale wie auch Netzwerkeffekte hebt und zugleich so pragmatisch aufgebaut wird, um in der Fläche zu reüssieren.

Was aus der “Nationalen Bildungsplattform” wurde

Eine Infrastruktur aufzusetzen, die in der Lage ist, die vielfältigen bestehenden Bildungsangebote in Deutschland zu vernetzen - diese Idee schrieb sich die Bundesregierung in der vergangenen Legislaturperiode auf die Fahnen und dann in neuer Konstellation auch in den Koalitionsvertrag 2021. Damit wurden auch die im Zuge der Corona-Pandemie offenkundig gewordenen Defizite bei der Digitalisierung im Bildungssystem adressiert. Was damals als “Nationale Bildungsplattform” begann (BMBF, 2021), wird nun “Digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung” und Fundament von “Mein Bildungsraum” genannt, um die durch den ursprünglichen Namen ausgelösten irrtümlichen Sorgen, der Bund würde eine neue zentrale Lernplattform aufbauen, zu entkräften.

Die Entwicklungen rund um die digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung (BMBF, 2023) mitsamt ihren Komponenten schreiten in hohem Tempo voran. Für den Herbst 2023 ist die Fertigstellung des Minimal Viable Product (MVP) mit anschließender closed beta Testphase angekündigt. Danach steht die public beta Phase auf der Agenda, wofür grundlegende Fragen des Betriebs, aber auch der Betreiberstruktur geklärt sein müssten, um den Statuswechsel vom Entwicklungsprojekt hin zur verstetigten Basisinfrastruktur erfolgreich vollziehen zu können. Um dem angestrebten Charakter einer sektorübergreifenden Vernetzung gerecht zu werden, begann schon früh die Forschungs- und Entwicklungsförderung einer Vielzahl an Projekten unterschiedlichster bestehender Bildungsangebote mit dem Ziel, im Zusammenspiel mit diesen Projekten die Anforderungen der Bildungslandschaft an eine solche Vernetzungsinfrastruktur praxisnah erheben und gemeinsam umsetzen zu können. Auch die Entwicklung des technischen Rückgrats erfolgt im Zusammenspiel mit den Projekten. In dieser Sonderausgabe haben nun Vertreter:innen der geförderten Projekte und weitere Stakeholder die Möglichkeit, von ihren praktischen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnissen rund um die digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung zu berichten.

Publikationen in diesem Themenfeld erfolgten bislang punktuell aus einzelnen Projekten heraus (zum Beispiel Knoth et al. 2022). Das Informationsangebot des BMMF (2023) zielt primär auf das letztlich entstehende Produkt ab. Das Interesse an themenspezifischen Details und Hintergründen sowohl in der Fachwelt als auch in der Öffentlichkeit ist jedoch groß (vgl. etwa Seemann et al., 2022). Deshalb soll hier erstmals ein breiter Überblick über die Vielzahl und Vielfalt der Ergebnisse rund um die Förderlinie geboten werden. Das umfasst überwiegend Perspektiven aus Pädagogik und Informatik, nimmt aber auch Aspekte des Projektmanagements und der Organisationsentwicklung mit in den Blick. Für das Gelingen einer solchen Infrastruktur und eine breite Nutzung sind dabei empirische Untersuchungen und der Blick aus der Wissenschaft ebenso wichtig wie eine feste Verankerung in der Praxis. Die Sichtweisen ganz unterschiedlicher Akteure helfen dabei, die Vernetzungsinfrastruktur zu entwickeln und ihre Akzeptanz zu stärken. Entsprechend werden im Rahmen der Förderlinie sowohl Hochschulen als auch Unternehmen und Start-Ups gefördert.

Wo die Vernetzungsinfrastruktur nun (ent)steht

Mit dem Release des MVP im Herbst 2023 wird der interessierten Fachöffentlichkeit erstmals ein Blick auf die künftige digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung möglich sein. Informationen werden auf der neuen Webseite unter www.meinbildungsraum.de ab Ende September verfügbar sein, und erste Nutzer:innen werden den Prototyp erproben. Dieser Blick wird jedoch zunächst zwangsläufig noch unvollständig sein. Zum einen sind viele der geplanten Funktionen wie bspw. ein Buddy-Finder in diesem MVP noch nicht enthalten, und angesichts noch ausstehender Einbindung in die Praxis der Bildungslandschaft wird ein echtes Nutzungserlebnis vorerst noch warten müssen. Zum anderen - und das ist der für diese Sonderausgabe ausschlaggebende Aspekt - gewährt das Ausprobieren eines technischen Systems nur begrenzt Einsicht in die dahinter stehenden Visionen und Konzepte und die noch in Diskussion stehenden Fragen. Diese Lücke, oder besser: diesen Hintergrund adressiert das vorliegende Heft.

Auf den im November 2022 veröffentlichten Call for Papers wurden bis Juni 2023 insgesamt 24 Manuskripte eingereicht; das umfasste sowohl wissenschaftliche als auch Praxisbeiträge aus dem breiteren Umfeld der Förderlinie. Die Beiträge wurden mittels Peer Review von jeweils drei Expert:innen aus den Bereichen Medienpädagogik und Bildungstechnologie begutachtet. So wurden 16 Beiträge für eine Veröffentlichung in der Sonderausgabe ausgewählt.Thematisch durchlaufen wir eine Art "Badewannenkurve":

  • Nach dem Einstieg über dieses Vorwort vertiefen wir mit empirischen Erkenntnissen zur Erkundung der Nutzungsperspektiven. Bustorff et al. erläutern die gewählte Vorgehensweise, pädagogische Vorüberlegungen und exemplarische Ergebnisse der Modellierung von Szenarien für die Entwicklung des Prototyps der Vernetzungsinfrastruktur. Danach präsentieren Rinn et al. die Ergebnisse einer Literaturstudie, die sich Lehr-/Lerngesprächen in virtuellen Welten widmet.

  • Anschließend widmen wir uns ausgiebig verschiedenen konzeptionellen Aspekten und deren Umsetzung. Wir beginnen mit verschiedenen Blickwinkeln auf das Thema Kompetenzen. Koch et al. betrachten zunächst die Vermittlung von sog. Future Skills. Danach analysieren Digel et al. die besonderen Herausforderungen und Chancen im Bereich der Erwachsenenbildung. Antonioli et al. vertiefen dann im Bereich des Sprachenlernens.

  • Der nächste - und mit vier Beiträgen umfangreichste - Block ist dem Thema Kollaboration und dem damit verbundenen pädagogischen Anspruch der Vernetzungsinfrastruktur gewidmet. Beege et al. schauen auf kollaboratives Lernen und die dafür benötigten Fähigkeiten bei Lehrkräften. Anschließend stellen Rinn et al. Entwurfsprinzipien für einen wirksamen Austausch im Distanzlernen vor. Dies wird von Serth et al. mit spezifischem Fokus auf Auto-Grader im Programmierlernen vertieft. Schließlich berichten Dyrna et al. von den Erfahrungen, die sie im Kontext der Vernetzungsinfrastruktur mit Social VR gemacht haben.

  • Was wäre die Infrastruktur ohne Vernetzung? Drei Beiträge steuern hierfür ihre eher technisch orientierte Perspektive bei. Zunächst berichten Kamphuis et al. vom Anschluss der vhs.ID an die Nationale Bildungsplattform. Danach untersuchen Plank et al., wie Potentiale durch den Anschluss offener Bildungsressourcen gehoben werden können. Mit dem Anschluss von MOOC-Plattformen und den dafür nutzbaren Metadaten beschäftigen sich Thomas et al.

  • Wenn auch die Vernetzungsinfrastruktur einen nationalen Fokus hat, so wurde doch ihre internationale Anschlussfähigkeit von Beginn an mitgedacht. Zwei Beiträge blicken hier über den Tellerrand. Jelinski et al. zeigen, wie Studieninteressierte aus dem Ausland im Digitalen Campus unterstützt werden. Und Sennhenn et al. erläutern, wie Bildungsreisen und die damit verbundenen Anerkennungsverfahren vereinfacht werden können.

  • Am Ende beginnen wir, über Qualitätsentwicklung mit einem Beitrag von Tawileh et al. zu Wirkungsorientierten Monitoring im BIRD-Projekt wieder an Flughöhe zu gewinnen und wagen zum Schluss des Heftes mit einem politischen Positionspapier von Borggräfe et al. über die Innovationsfähigkeit des deutschen Bildungssystems einen Ausblick in die Zukunft.

Die unterschiedlichen Themen und Schwerpunkte der Beiträge zeigen dabei eindrücklich, wie breit der Bereich ist, den die Vernetzungsinfrastruktur inhaltlich adressiert - über alle Lebenslagen der Bildung hinweg vom Kindergarten über die Schule, berufliche Bildung und Hochschule bis zur beruflichen Weiterbildung und lebenslangem Lernen. Dabei stehen die Beiträge stellvertretend für viele weitere spannende Arbeiten, die rund um die digitale Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung angestoßen wurden, können jedoch deren Facetten nur skizzieren. In den kommenden Jahren wird diese Entwicklung weiter voranschreiten, sodass sich ein wiederholter Blick auf das wissenschaftliche und praktische Umfeld lohnen dürfte.

Wie wir das erreichen konnten

Ohne die engagierte Mitwirkung einer Vielzahl von Akteur:innen wären weder dieser beeindruckende Zwischenstand der digitalen Vernetzungsinfrastruktur für die Bildung noch die vorliegende Sonderausgabe möglich gewesen. Stellvertretend für die zahlreichen kreativen Geister und tatkräftigen Hände in der gesamten Community möchte wir deshalb an dieser Stelle unseren Dank aussprechen:

  • dem eleed-Team für die wunderbare Möglichkeit, diese Sonderausgabe zusammenzustellen, und für die geduldige Unterstützung im Publikationsprozess

  • den Autor:innen der Einreichungen, die ihre Arbeitsergebnisse aufbereitet und so allen Interessierten einen Blick in den “Maschinenraum” ermöglicht haben

  • den Gutachter:innen, die aus verschiedenen disziplinären Perspektiven die Manuskripte geprüft und so die hochwertige Beitragsauswahl ermöglicht haben

  • dem Team im Referenzprojekt BIRD und den anderen Projekten der Konzeptions- und Umsetzungsphase für den produktiven und anregenden Austausch

  • dem Projektbüro mit VDI/VDE-IT und Capgemini für die fortwährende Unterstützung in der Bewirtschaftung dieses hochkomplexen Vorhabens und im Transfer der Ergebnisse

  • dem BMBF als Initiator und Geldgeber dieser Förderlinie, ohne das dieser Innovationsschub für die deutsche Bildungslandschaft nicht möglich gewesen wäre

Angesichts dieser breiten Verankerung der Initiative sind wir zuversichtlich, auch künftig über spannende Entwicklungen in diesem Umfeld berichten bzw. lesen zu können.

Potsdam/Berlin, im September 2023

Die in den Beiträgen dieser Sonderausgabe beschriebenen Arbeiten wurden bzw. werden ganz oder teilweise vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in der “Initiative Nationale Bildungsplattform” über folgende Projekte gefördert:


  • BIRD (16NB001)

  • AVILAB2 (16INB2005)

  • CoHaP2 (16INB2009)

  • EVA-NBP2 (16INB2022)

  • FSJ2 (16INB2026)

  • HPI4NBP (16INB2029)

  • KoKoN2 (16INB2035)

  • LernGrammis2 (16INB2040)

  • PIM-2-02 (16INB2051)

  • TOERN (16INB2061)

  • TrainSpot2 (16INB2062)

Finanziert von der Europäischen Union – NextGenerationEU

Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind ausschließlich die des Autors/der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten der Europäischen Union oder der Europäischen Kommission wieder. Weder die Europäische Union noch die Europäische Kommission können für sie verantwortlich gemacht werden.


Referenzen

BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung: Richtlinie zur Förderung von Prototypen für eine Bildungssektorübergreifende, transdisziplinäre Meta-Plattform für kollaborativen, kompetenten und digital gestützten Zugang zu innovativen Lehr-/Lernformaten und unterstützenden Lerntechnologien: „Initiative Nationale Bildungsplattform“, 2021. https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/bekanntmachungen/de/2021/04/3567_bekanntmachung.html (last check 2023-09-19)

BMBF - Bundesministerium für Bildung und Forschung: Nationale Bildungsplattform, 2023. https://www.bildungsraum.de/ (last check 2023-09-19)

Knoth, A.; Blum, F.; Soldo, E.; Lucke, U.: Structural Challenges in the Educational System meet a Federated IT-Infrastructure for Education – Insights into a Real Lab. In: Proc. 14th Int. Conf. on Computer Supported Education (CSEDU 2022), 2022, pp. 369-375. https://doi.org/10.5220/0011085800003182 (last check 2023-09-19)

Seemann, M.; Macgilchrist, F.; Richter, C.; Allert, H.; Geuter, J.: Werte und Strukturen der Nationalen Bildungsplattform. Konzeptstudie. Wikimedia Deutschland, 2022. https://www.wikimedia.de/wp-content/uploads/2022/11/Konzeptstudie-Werte-und-Strukturen-der-Nationalen-Bildungsplattform.pdf (last check 2023-09-19)

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